Was macht der Diskurs über Terrorismus mit uns und ‚unserer‘ Gesellschaft? Diese Frage stand im Fokus des Modellprojektes „Politisch motivierte Gewalt erforschen. Mit kritischer Medienkompetenz Terrorismus verstehen und für Demokratie eintreten.“ Ausgangspunkt für das Projekt, war die Feststellung, dass terroristische Anschläge Emotionen hervorrufen, die in der Politischen Bildung bisher kaum aufgefangen werden. ‚Präventive‘ Ansätze hingegen haben oft vor allem muslimische Jugendliche als Zielgruppe, die so zu potenziellen Täter*innen stigmatisiert werden. Die letzteren oft inhärenten sicherheitspolitischen Herangehensweisen nehmen zudem mit ihrem engen Fokus auf Terrorismusbekämpfung die Perspektiven von Staatsorganen ein, nicht aber die von Jugendlichen. Damit jedoch Gefühle wie Angst und Bedrohung bei Jugendlichen nicht in Hass umschlagen, so die Idee unseres Projektes, benötigen sie Unterstützung, um diese Ereignisse in ihrer gesellschaftspolitischen Reichweite zu verstehen und ihnen so kritisch reflektiert zu begegnen. Besonders wichtig war es uns mit den Jugendlichen ihre persönlichen Erfahrungen als Ausdruck eines gesellschaftlichen Diskurses über Terrorismus aus machtkritischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Es galt also Angebote zu kreieren, um auf Verunsicherung reflektiert und nicht reflexhaft zu reagieren. Erst so wird politische Urteilsfähigkeit möglich, die, so unsere Überzeugung, ein zentrales Moment von Demokratiefähigkeit ausmacht.
Räume des Sag- und Denkbaren erweitern
Mit dem Modellprojekt stellten wir uns der Herausforderung, jungen Menschen den komplexen und unübersichtlichen Diskurs um politisch motivierte Gewalt und Terrorismus zugänglich zu machen. Das Projekt war in drei Phasen gegliedert. In der ersten Phase wurden die Teamer*innen des Projektes inhaltlich und methodisch-technisch auf die Arbeit im Projekt vorbereitet. Darauf folgte die Phase der Jugendseminare, die im Frühsommer 2019 mit dem Angebot die Seminarerkenntnisse in einem Urban Game zu vertiefen, abgeschlossen wurde. In fünf Seminaren à fünf Tagen zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten produzierten die Jugendlichen Radiobeiträge, die jeweils zum Abschluss der Seminarwoche in einer einstündigen Radio-Livesendung präsentiert wurden. Die letzte Phase stellt der fachliche Austausch dar.
Die Ergebnisse der Jugendseminare zeigen, dass es uns durch unsere Herangehensweise gelungen ist, den Raum des Sag- und Denkbaren für eine multiperspektivische Reflexion zu öffnen. Eine wichtige Feststellung dabei war, dass die Subjektposition der Teilnehmenden für die Wahrnehmung des Diskurses über Terrorismus ausschlaggebend ist. Angehörige der weißen Mehrheitsdeutschen Gesellschaft wollten eher über ihre Angst vor Terrorismus berichten. Demgegenüber nutzten andere Teilnehmende die Möglichkeit, um von Rassismuserfahrungen zu berichten, bei denen sie selbst als potenzielle terroristische Täter*innen betrachtet wurden. Dieser Fokus schlägt sich auch in den Beiträgen über Rechtsterrorismus nieder, in welchem persönliche Ängste verarbeitet werden konnten. Das Format selbstbestimmter Radiobeiträge wertschätzte die unterschiedlichen Perspektiven aller Jugendlichen. So konnte im gleichberechtigten Austausch reflektiert werden, inwiefern auch eigene Perspektiven dem beschriebenen hegemonialen Diskurs entspringen und so ein multiperspektivischer Blick erreicht werden.
Aus den Beiträgen der Jugendlichen haben sich folgende Schwerpunkte ergeben:
- Auch wenn der Begriff ‚Terrorismus‘ im Alltagsdiskurs einen festen Platz hat, fällt es schwer ihn zu definieren. Mit unterschiedlichen Deutungsweisen, aber auch mit den Folgen der Bennenung beschäftigten sich die Jugendlichen im Schwerpunkt Was ist Terrorismus?
- #pray for paris oder #pray for the world? Der Umgang mit Terrorismus, die Reaktionen von Politik und Zivilgesellschaft, waren Thema zahlreicher Beiträge der Teilnehmenden.
- Terrorismus wird vom rechten Rand bis in die Mitte der Gesellschaft gerne als ein von außen nach Deutschland kommendes Phänomen dargestellt. Dass terroristische Anschläge und andere Aktivitäten einen wichtigen Fluchtgrund darstellen und die meisten Anschläge in Ländern des Globalen Süden passieren, ist Thema im Schwerpunkt Terrorismus & Flucht.
- Viele der Teilnehmenden im Projekt erleben täglich selbst den Anstieg von alltäglichem Rassismus, der eng mit dem Diskurs über Terrorismus verbunden ist. Ihre Erfahrungen und Gedanken finden sich im Schwerpunkt Terrorismus & Rassismus.
- Dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft darstellen, reflektieren die Teilnehmenden im Schwerpunkt Terrorismus & Extremismus.
- Freiheit und Sicherheit. Geht das zusammen oder kommt es immer zu Reibungspunkten?