Terrorismus und Extremismus bewegen sich in zwei miteinander verwobenen Diskursfeldern, indem die Weltbilder, die als Motivation für terroristische Aktivitäten herangezogen werden, zumeist als extremistisch bezeichnet werden. Das Spektrum der unter Extremismus gefassten Ideen und Strömungen ist damit noch lange nicht erschöpft, wird aber oftmals im Kontext von Debatten um politisch motivierte Gewalt in einen Topf geworfen.
Treten wir aber zunächst einen Schritt zurück: Was ist überhaupt Extremismus?
Spätestens seit den späten 00-Jahren erfährt das Extremismuskonzept in Deutschland große Verbreitung. Die bekannteste Definition stammt von den Politikwissenschaftlern Uwe Backes und Eckard Jesse und besagt: „Der Begriff des politischen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen, sei es, daß das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit negiert (Rechtsextremismus), sei es, daß der Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und die Idee der individuellen Freiheit überlagert (Kommunismus), sei es, daß jede Form von Staatlichkeit als ‚repressiv‘ gilt (Anarchismus).“ (dies. 1996: 45). Dargestellt wird das politische Spektrum orientiert an Backes (1989) gerne anhand des so genannten Hufeisenmodells. Dessen beiden Enden stellen das linke und das rechte Extrem dar, die sich gegenüber der Mitte des Hufeisens, die gleichsam die demokratische Mitte der Gesellschaft repräsentiert, damit am politischen Rand der Gesellschaft bewegen.
Sowohl Wissenschaftler*innen, Politiker*innen als auch Akteur*innen von Polizei und Verfassungsschutz bedienen sich des Konzeptes, um verschiedenen Phänomene zu benennen, die heute zumeist in drei Hauptgruppen eingeteilt werden: Links- und Rechtsextremismus sowie Islamismus. Allen sei gemeinsam, dass sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD anträten.
In den 1990er Jahre wurde der Begriff noch kaum ernst genommen. Kritiker des Konzeptes wie der Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge sahen kein wissenschaftliches Erklärungspotenzial in dem Begriff und glaubten nicht, dass eine Definition wie die von Backes und Jesse jemals relevant werden könnten (vgl. ders. in: Wiegel 2011: 224). Erst mit dem Regierungswechsel 2009 gelang es der schwarz-gelben Regierung das Konzept des Extremismus mit neuen Programmen zur Bekämpfung desselben auf die politische Agenda zu bringen.
Gleichzeitig wuchs die Kritik am Extremismusmodell. Das Konzept konstruiert die gesellschaftliche Mitte als grundsätzlich ‚normal‘ und ‚legitim‘. Indem die gesellschaftliche Mitte in dem Konzept, den als extremistisch definierten Positionen gegenübergestellt wird, wird eine politische ‚Normalität‘ hergestellt. Die als extremistisch benannten Ideen und Strömungen werden aus der politischen Normalität ausgeschlossen. Analog zu der zu Beginn der Broschüre eingeführten Arbeitsdefinition von Terrorismus werden Ansätze und Politikformen, die als extremistisch bezeichnet werden somit als von der Norm abweichend und als illegitim betrachtet.
Demokratiefeindliche und in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verbreitete Positionen – wie Rassismus, Sexismus oder autoritäre Haltungen – werden durch den Verweis auf die ‚extremistischen Ränder‘ überdeckt – was auch als whitewashing der Mitte bezeichnet werden kann. Es ist der Definition des Extremismuskonzeptes inhärent, dass die gesellschaftliche Mitte ihre Positionen gegenüber jenen der extremistischen Ränder immer als die vermeintlich ‚normalen‘ und gültigen legitimieren kann. Dies ist schon deshalb problematisch, da sich die Normen der ‚Mitte‘ beständig verändern und verändert haben – beispielsweise von der Kriminalisierung Homosexueller bis zur Ehe für Alle. ‚Normalität‘ kann daher nicht schon Grundlage für Legitimität sein.
Im Hufeisenmodell gelten außerdem die Enden als jeweils näher zueinander als zur Mitte. Die dadurch entstehende Gleichsetzung von rechten und linken Ideen und Strömungen fanden auch die Jugendlichen in unseren Seminaren irritierend, weshalb sie im Beitrag „Rechts, wie links?“ (Podcast 13) Stefan Lauer von der Amadeu Antonio Stiftung zu dieser Thematik interviewten. Andererseits bewegte viele die Angst vor der zunehmenden Verbreitung rechtsextremer Positionen in unserer Gesellschaft, weshalb sich zwei Beiträge mit dem Phänomen ‚Rechtsextremismus‘ und ‚Rechter Terrorismus‘ (Podcast 14 & 15) befassen. Aus einer pädagogischen Perspektive stellt sich die Orientierung am Extremismusmodell insofern als problematisch dar, als hier Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht mehr aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft heraus geäußert werden können. Seminare im Bereich der diversitätssensiblen Politischen Bildung zielen darauf ab einerseits die Sichtbarkeit der vielfältigen sich überschneidenden Formen von Diskriminierung aufgrund von Identitätszuschreibungen zu erhöhen und andererseits (eigene) Privilegien einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Hierzu ist es aber Voraussetzung, dass diskriminierende Positionen, Aussagen, Handlungen etc. als eingebettet in Strukturmomente von Gesellschaft und nicht als Positionen eines extremen Randes begriffen werden. Noch weniger möglich ist mit dem Extremismusbegriff eine intersektionale Perspektive auf Diskriminierungen, bei welcher Personen sowohl Diskriminierung erfahren als auch ausüben. Sinnvoller in der pädagogischen Arbeit ist es daher, mit Teilnehmenden gemeinsam zu untersuchen, inwiefern bestimmte Einstellungen tatsächlich problematisch im Sinne eines demokratischen, menschenrechtlichen Grundkonsens sein können.